Mini-Flügel "Lilli" sucht ein Zuhause
Im Vintage-Kontor gibt es zahllose Schätze – Möbel, Lampen, Ziergegenstände, Bücher und Gerätschaften. Auch ein 120 Jahre alter, seltener Flügel steht hier. Obwohl er das wohl kleinste Instrument seiner Art ist, nimmt er viel Platz weg:
So einen Anruf hatte Nadine Altmann vorher noch nie bekommen. Ein Herr wandte sich an die Betzdorfer Klavier- und Keyboardlehrerin, weil er einen Flügel zu verschenken hatte. Und es handelte sich dabei um ein ganz besonderes, seltenes Modell.
Der 43-Jährigen, die in verschiedenen heimischen Bands Orgel und Keyboard spielt und sich 2010 mit ihrer Musikschule selbstständig gemacht hat, war jedoch klar, dass sie und ihre Familie in Betzdorf nicht genug Platz für den "Liliput"-Flügel haben würden. Das gute Stück ist mit nur 1,50 Metern Länge für einen Flügel nämlich ausgesprochen klein und trägt nicht umsonst die Modellbezeichnung „Liliput“. Hergestellt wurden diese Instrumente in der „Pianoforte-Fabrik Förster & Co.“ in Leipzig, die diese „Pianinos“ ab dem Jahr 1905 bauten.
Hilfe bekam sie von uns: „Wir durften den Flügel dorthin bringen und haben ihn erst einmal kräftig abgestaubt und gereinigt“, erzählt Nadine weiter. Dann ließ sie ihn stimmen.
Eine weitere Besonderheit des 120 Jahre alten Mini-Flügels ist seine symmetrische Form. Während ein Konzertflügel wie eine liegende Harfe aussieht und zur Seite hin aufgeklappt wird, öffnet sich dieser „Glockenflügel“ zur Tastatur hin. Böse Zungen sagen: Wie ein Klodeckel.
„Als ich den kleinen Flügel gesehen habe, habe ich mich irgendwie in ihn verliebt“, erzählt Nadine Altmann. „Er ist schon sehr goldig. Da kriegt man ja Muttergefühle“, lacht sie, „und ich wusste, ich kann nicht zulassen, dass er verschrottet wird.“
Der Besitzer, der sie angerufen hatte, wurde durch das auffällige Möbelstück offenbar zu sehr an seine verstorbene Frau erinnert, die täglich darauf spielte. „Solange der Flügel in der Wohnung stand, konnte er nicht mit dem Kapitel abschließen“, vermutet Altmann. Der Klavierstimmer meinte, dass man noch 1000 Euro dafür bekommen kann. Doch der Versuch, das gute Stück zu verkaufen, scheiterte kläglich. „Wir haben ihn bei Ebay-Kleinanzeigen eingestellt mit dem Hinweis, das Geld an die Spendenaktion von Andre Becker zu spenden. Aber niemand zeigte Interesse.“
Becker ist Dirigent der Jugendstadtkapelle Betzdorf und sammelt für eine von der Schließung bedrohte Musikschule in Uganda. Doch Beckers „Africa Music School Projekt“ wird auf diese Finanzspritze verzichten müssen. Denn nach wie vor findet sich kein Käufer für den Mini-Flügel.
Deshalb greifen Nadine Altmann und ihr Team nun zu radikalen Mitteln: „Wir suchen ein würdiges Zuhause für den Flügel, bei jemandem, der ihn vielleicht auch spielt oder als Ausstellungsstück zu schätzen weiß. Demjenigen würden wir das Instrument auch schenken – was nicht heißt, dass wir eine Spende für die gute Sache ablehnen würden.“
„Mir würde das Herz brechen, wenn ich den kleinen Flügel zum Sperrmüll fahren müsste“, sagt Nadine Altmann.
Auch in jeder Musikkneipe wäre der „Liliput“ ein Schmuckstück, sagt Nadine: „Er hat viel Charme. Mit seinen tausend Macken ist er echt vintage, ideal für eine Bar.“ Störend sind die paar Wasserkränze auf dem Deckel wahrlich nicht. Ob sie von einer Blumenvase herrühren, die eine alte Dame einst daraufgestellt hat? Oder von den Weingläsern eines verkrachten Künstlers?
Im Vintage-Kontor dürfen Nadines Schüler ein paarmal die Woche den Flügel nutzen, worüber sie sich sehr freut. Die Kinder und Jugendlichen schlossen den Glockenflügel sofort in ihr Herz. „Jeder wollte darauf spielen“, sagt ihre Lehrerin, „und alle fanden ihn süß.“ Bald bekam das Instrument die ersten Kosenamen, etwa „Glöckchen“, „Putzi“, „Blacky“ oder „Flügelein“. Doch das Rennen machte schließlich „Lilli“, die Koseform seiner Modellbezeichnung „Liliput“.
Zu Ehren des 120 Jahre alten Pianos fand sogar ein kleines Konzert im Vintage-Kontor statt – für Familien und Freunde der Kids. Von Altmanns 30 Schülern nehmen 22 am Programm teil. Neben dem Mini-Flügel erklingen dann auch Posaune, Kontrabass und Gesang.
Doch Lillis Tage bei uns sind leider gezählt. „Er nimmt zu viel Platz weg. „Wir brauchen also ein neues Heim für Lilli. Mir würde das Herz brechen, wenn ich sie zum Sperrmüll fahren müsste.“ Ein paar Monate Galgenfrist bleiben dem Flügelchen noch.
Engagiert und musikbegeistert, wie sie ist, hat Nadine natürlich dafür gesorgt, dass der „Liliput“ in den vergangenen Monaten viel gespielt wurde. Bis er weggegeben wird, dürfen ihre Schüler das Pianino nutzen. Dann findet der Unterricht im Vintage-Kontor statt.
Der Flügel hat mittlerweile ein neues, schönes Zuhause gefunden. HIER findet ihr noch einen Beitrag aus dem AK-Kurier.
Leave a comment